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EU-Freizügigkeit: Viele polnische Arbeitnehmer verlassen Deutschland

Polnische Flagge

Die jüngsten Zahlen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung markieren einen bemerkenswerten Wendepunkt: Erstmals seit Einführung der vollständigen Arbeitnehmerfreizügigkeit im Jahr 2011 verlassen mehr polnische Staatsangehörige Deutschland, als neu zuwandern. Dieser Trend wirft nicht nur ein Schlaglicht auf die Attraktivität des deutschen Arbeitsmarkts, sondern auch auf strukturelle Herausforderungen, die im migrationspolitischen Diskurs bislang zu wenig Beachtung fanden.


Jahrzehnt der polnischen Zuwanderung nach Deutschland

Über Jahre hinweg war Deutschland für polnische Staatsangehörige ein stabiler und verlässlicher Zielstaat. Die Integration in den Arbeitsmarkt verlief überwiegend erfolgreich: Ein Großteil der polnischen Beschäftigten arbeitet im Fachkraftsegment, rund 40 Prozent in Helfertätigkeiten und knapp zehn Prozent im Spezialisten- oder Expertenbereich. Bemerkenswert ist insbesondere die überdurchschnittlich hohe Vertretung in Engpassberufen – also jenen Bereichen, in denen der Arbeitskräftemangel besonders ausgeprägt ist (z.B. in der IT). Trotz dieser strukturellen Bedeutung sank die Nettozuwanderung in den letzten Jahren deutlich; 2024 wurde schließlich ein negativer Wanderungssaldo verzeichnet.


Zwischen Bindung und temporären Perspektiven

Die Analyse zeigt, dass die Mehrheit der polnischen Eingewanderten weiterhin angibt, dauerhaft in Deutschland bleiben zu wollen. Im direkten Vergleich zu anderen Migrantengruppen ist diese Bleibeabsicht jedoch etwas geringer ausgeprägt. Auffällig ist zugleich die wachsende Präferenz für temporäre Aufenthalte. Viele polnische Staatsangehörige sehen Deutschland offenbar weniger als dauerhaftes Lebensmittelpunktland, sondern vielmehr als Zwischenstation – sei es aus wirtschaftlichen Gründen oder aufgrund persönlicher Lebensplanung.


Besonders die jüngere Altersgruppe verliert zunehmend das Interesse an Deutschland. Während Deutschland zwischen 2009 und 2013 bei 18- bis 34-Jährigen noch als attraktivstes Zielland galt, wurde es in den Jahren 2019 bis 2024 von den USA deutlich überholt. Dieser Stimmungswandel ist für die deutsche Fachkräftestrategie problematisch, da gerade junge mobile Arbeitskräfte entscheidend für die langfristige Stabilisierung des Arbeitsmarkts sind.


Zunehmende Ausreisewünsche von polnischen Arbeitnehmern

Rund ein Drittel der in Deutschland lebenden polnischen Staatsangehörigen hat im vergangenen Jahr über eine Ausreise nachgedacht. Besonders interessant ist jedoch, dass nur vier Prozent bereits konkrete Pläne verfolgen. Unter diesen Rückkehrwilligen beabsichtigen 68 Prozent eine Rückkehr nach Polen; weitere neun Prozent wollen in die Schweiz auswandern. Die Motive variieren je nach Zielrichtung deutlich: Wer nach Polen zurückkehrt, nennt häufig persönliche Gründe wie Nähe zu Freunden, Familie oder die vertraute Sprache. Wer hingegen den Schritt in ein anderes Land plant, orientiert sich oftmals wirtschaftlich – ein Hinweis auf die Wahrnehmung sinkender wirtschaftlicher Attraktivität Deutschlands.


Die Motive für den Wegzug aus Deutschland sind vielschichtig, doch die Daten zeigen klare Prioritäten. Die wirtschaftliche Lage nennen 58 Prozent der Befragten als zentralen Faktor. Weitere 56 Prozent verweisen auf die politische Situation, während 46 Prozent die steuerlichen Belastungen kritisch sehen. Auch strukturelle Herausforderungen spielen eine Rolle: 38 Prozent empfinden die Bürokratie als hinderlich und frustrierend. Persönliche Präferenzen werden von 30 Prozent als Rückkehrgrund genannt.


Was bedeutet der Trend für Deutschland und für das Aufenthaltsrecht?

Für Deutschland ist diese Entwicklung ein Warnsignal. Polnische Staatsangehörige zählen seit Jahren zu den stabilsten und am besten integrierten Migrantengruppen – sowohl kulturell als auch auf dem Arbeitsmarkt (insbesondere aufgrund der europäischen Freizügigkeit). Dass gerade sie nun verstärkt über Abwanderung nachdenken, zeigt, dass Attraktivität kein statischer Faktor ist. Wirtschaftliche Unsicherheiten, zunehmende bürokratische Hürden und politische Verwerfungen scheinen den Standort Deutschland in den Augen vieler zu schwächen.


Im Kontext des Aufenthaltsrechts und der Fachkräfteeinwanderung verdeutlicht der Trend, dass erfolgreiche Migration nicht allein von gesetzlichen Rahmenbedingungen abhängt. Entscheidend sind auch Arbeitsbedingungen, gesellschaftliche Wahrnehmung, administrative Belastungen und wirtschaftliche Perspektiven. Wenn diese Faktoren ins Negative kippen, reichen selbst großzügige Einwanderungsregelungen nicht aus, um Fachkräfte dauerhaft zu halten.

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