Neue Studie “Arbeitsmarkt und Zuwanderung im Wandel” bestätigt angespannten Arbeitsmarkt
- Isabelle Manoli

- vor 18 Minuten
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Mit der Veröffentlichung der neuen Studie „Arbeitsmarkt und Zuwanderung im Wandel“ legen Forschende eine der bislang umfassendsten Analysen zur aktuellen Lage des deutschen Arbeitsmarktes vor. Die Ergebnisse zeichnen ein ebenso klares wie alarmierendes Bild: Der strukturelle Fachkräftemangel verschärft sich weiter – trotz steigender Arbeitslosigkeit. Die Untersuchung zeigt, dass sich kurzfristige konjunkturelle Schwächen mit langfristigen demografischen Herausforderungen überlagern. Steigende Arbeitslosenzahlen treffen auf eine gleichzeitig schrumpfende Erwerbsbevölkerung. Immer mehr Beschäftigte scheiden altersbedingt aus dem Arbeitsmarkt aus, während deutlich weniger junge Arbeitskräfte nachrücken. Besonders betroffen sind Pflege, Handwerk, Industrie, Logistik und das Bildungswesen.
Zuwanderung verschiebt sich – weniger EU, mehr Drittstaaten
Ein zentrales Ergebnis der Studie ist der tiefgreifende Wandel in der Struktur der Zuwanderung. Während Deutschland jahrelang stark von Arbeitskräften aus anderen EU-Mitgliedstaaten profitierte, ist dieser Trend nun erstmals gekippt. 2024 verzeichnete Deutschland erstmals einen negativen Wanderungssaldo bei EU-Staatsangehörigen. Es verließen mehr Menschen aus der EU das Land, als neu hinzukamen. Gleichzeitig wächst die Zuwanderung aus Drittstaaten deutlich – sowohl durch Fluchtmigration als auch durch gezielte Erwerbsmigration. Besonders Menschen aus der Ukraine, aus klassischen Asylherkunftsländern sowie aus weiteren Drittstaaten außerhalb der EU prägen inzwischen das Beschäftigungsgeschehen. Damit verändert sich nicht nur die Herkunft der Zuwandernden, sondern auch ihre Qualifikationsstruktur grundlegend.
Während EU-Zugewanderte häufig über abgeschlossene Berufsausbildungen verfügen, ist bei Drittstaatsangehörigen der Anteil an akademischen Abschlüssen ebenso hoch wie der Anteil ohne formale Ausbildung. Gerade bei Geflüchteten fehlen häufig anerkannte Nachweise, obwohl berufliche Qualifikationen vorhanden sind.
Beschäftigung wächst – aber nur dank Drittstaatsangehörigen
Die Beschäftigungsentwicklung der letzten Jahre zeigt nach Einschätzung der Autorinnen der Studie ein eindeutiges Muster: Das geringe Wachstum am deutschen Arbeitsmarkt wird fast ausschließlich durch Drittstaatsangehörige getragen. Während die Zahl der deutschen Beschäftigten in vielen Bereichen sinkt und auch die EU-Beschäftigung zurückgeht, wachsen die Zahlen bei Drittstaatsangehörigen weiterhin zweistellig. Besonders deutlich zeigt sich dieser Effekt bei Männern wie auch bei Frauen, in Ost- wie in Westdeutschland. In kleineren und mittleren Betrieben wären Beschäftigungseinbußen ohne den Zuzug aus Drittstaaten deutlich gravierender ausgefallen. Die Studie macht klar: Ohne internationale Arbeitskräfte wäre der Beschäftigungsrückgang bereits heute unübersehbar.
Pflege wächst, Industrie verliert – die Verschiebung der Branchen
Besonders stark wächst laut Studie derzeit der Bereich der personenbezogenen Dienstleistungen. Dazu zählen Pflegeberufe, Erziehung, soziale Dienstleistungen, Gesundheitswesen sowie Gastronomie. In vielen dieser Bereiche liegt der Anteil nicht-deutscher Beschäftigter bereits bei über 40 Prozent. Ohne Zuwanderung wäre die Aufrechterhaltung der öffentlichen Daseinsvorsorge in weiten Teilen nicht mehr möglich. Gleichzeitig schrumpfen die Produktionsberufe weiter. Industrie, Bau und Metallhandwerk verlieren vor allem deutsche und europäische Fachkräfte durch den demografischen Wandel. Zwar wächst auch hier der Anteil von Drittstaatsangehörigen, doch reicht dieser bislang nicht aus, um die Verluste vollständig auszugleichen. Das Risiko eines dauerhaften Kapazitätsabbaus wird dadurch zunehmend real.
Anerkennung, Bürokratie und Diskriminierung als systemische Bremsklötze
Die Studie zeigt auch die strukturellen Schwächen der Arbeitsmarktintegration sehr deutlich. Anerkennungsverfahren für ausländische Abschlüsse – insbesondere für Drittstaatsangehörige – sind weiterhin langwierig, kostenintensiv und von regionalen Unterschieden geprägt. Fehlende Anerkennung führt in vielen Fällen zu jahrelanger Beschäftigung unterhalb der tatsächlichen Qualifikation. Hinzu kommen bürokratische Hürden bei Aufenthaltstiteln, Arbeitsgenehmigungen und Arbeitgeberwechseln. Gerade kleine Unternehmen scheuen den administrativen Aufwand. Gleichzeitig belegen aktuelle Studien, dass Bewerber mit ausländisch klingenden Namen bei gleicher Qualifikation deutlich geringere Chancen auf Einstellung haben – insbesondere im ländlichen Raum.
Ein weiteres Kernproblem, das die Studie klar benennt, ist die unterdurchschnittliche Erwerbsbeteiligung zugewanderter Frauen – vor allem aus klassischen Asylherkunftsländern. Hier liegt eines der größten ungenutzten Arbeitskräftepotenziale. Gleichzeitig zeigt die Analyse, dass Investitionen in Sprachförderung, Kinderbetreuung und Qualifizierung die Beschäftigungsquoten deutlich steigern können. Integration wirkt – wenn sie konsequent betrieben wird.
Anwaltliche Perspektive auf Fachkräftemangel
Aus migrationsrechtlicher Sicht bestätigt die Studie, was die Praxis täglich zeigt: Der deutsche Arbeitsmarkt ist strukturell auf Zuwanderung angewiesen – jedoch stößt dieses Erfordernis immer wieder auf ein Aufenthaltsrecht, das in seiner Umsetzung zu langsam, zu komplex und zu unflexibel ist. Die Fachkräftesicherung scheitert derzeit nicht am fehlenden Bedarf und oft auch nicht am fehlenden Bewerberpotenzial, sondern an überlasteten Ausländerbehörden, langen Visaverfahren, uneinheitlichen Anerkennungsentscheidungen und unklaren Zuständigkeiten. Gerade Drittstaatsangehörige, die in zur Engpassliste zählenden Berufen arbeiten könnten, verlieren Monate oder Jahre in Verfahren. Die Studie macht deutlich: Ohne eine radikale Beschleunigung der Erwerbsmigration, ohne verlässliche und rechtssichere Anerkennungsverfahren und ohne echten Bürokratieabbau bei Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigungen wird Deutschland den Fachkräftemangel nicht bewältigen können.



