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Dr. Holger Kolb in der WiWo: „Wenn der Staat die Ukrainer vom Arbeitsmarkt ausschließt, wären das verlorene Kosten“

  • Autorenbild: Isabelle Manoli
    Isabelle Manoli
  • vor 4 Tagen
  • 2 Min. Lesezeit
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Seit Beginn des russischen Angriffskrieges hat Deutschland über eine Million Menschen aus der Ukraine aufgenommen. Der Großteil von ihnen kam über die sogenannte Massenzustrom-Richtlinie in die Bundesrepublik – ein europäisches Instrument, das temporären Schutz gewährt, ohne dass ein reguläres Asylverfahren nötig ist. Doch mit zunehmender Dauer des Kriegs wird immer deutlicher: Diese Regelung ist auf Zeit angelegt – und Deutschland steht vor der Frage, wie es langfristig mit dieser großen Gruppe umgehen will. Der Migrationsforscher Holger Kolb skizziert in einem Interview mit der WirtschaftsWoche klare Handlungsempfehlungen.


Die deutsche Sonderlösung: Bürgergeld statt Asylbewerberleistungen

Anders als viele andere europäische Länder hat sich Deutschland früh entschieden, Ukrainerinnen und Ukrainer in das reguläre Bürgergeld-System aufzunehmen. Das bedeutet: Zuständigkeit der Jobcenter, umfassende Sozialleistungen, Zugang zu Integrations- und Sprachkursen. Eine bewusste Entscheidung – und ein integrationspolitischer Sonderweg. Kritiker wie CSU-Chef Markus Söder fordern nun, diese Sonderstellung zu beenden und Ukrainer nur noch nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu versorgen. Doch Holger Kolb widerspricht: Wer davon ausgeht, dass ein erheblicher Teil der Geflüchteten langfristig in Deutschland bleibt, muss frühzeitig in nachhaltige Integration investieren – und nicht kurzfristige Einsparungen priorisieren. Ein Rückzug aus dem Bürgergeld-System wäre nicht nur integrationspolitisch fragwürdig, sondern auch volkswirtschaftlich kontraproduktiv.


Wechsel aus dem temporären Schutz in reguläre Aufenthaltstitel: Eine kluge Strategie

Kolb empfiehlt der Bundesregierung einen klaren Strategiewechsel: Wer arbeitet, sollte gezielt in reguläre Aufenthaltstitel für Erwerbstätige wechseln – unabhängig davon, ob die Massenzustrom-Richtlinie verlängert wird oder nicht. Zwar ist dieser Wechsel juristisch längst möglich, doch in der Praxis hakt es: Viele Ausländerbehörden lehnen entsprechende Anträge ab oder beraten nicht aktiv, weil sie mit der Masse an Fällen überfordert sind. Auch für Studierende aus der Ukraine gibt es bislang keine realistische Option, in andere Aufenthaltstitel zu wechseln – sie fallen durch das Raster, weil europäische Richtlinien Wechsel in bestimmte Aufenthaltstitel explizit ausschließen.


Ein Sonderweg für die Ukraine: Best-Friends-Modell ausweiten

Als pragmatische Zwischenlösung schlägt Kolb vor, die Ukraine in das sogenannte Best-Friends-Modell aufzunehmen – ein vereinfachter Aufenthaltstitel für Bürger aus Ländern wie Kanada, Australien oder Südkorea. Diese müssen lediglich nachweisen, dass sie ihren Lebensunterhalt sichern können und einen fairen Arbeitsvertrag haben. Die Ukraine könnte per Rechtsverordnung ebenfalls in diese Liste aufgenommen werden. So ließe sich Bürokratie abbauen und Integration erleichtern – ohne den Rechtsrahmen grundlegend zu verändern.


Fazit: Jetzt in Integration investieren – statt später hohe Kosten tragen

Deutschland steht an einem Scheideweg. Entweder es nimmt den temporären Charakter der aktuellen Regelungen wörtlich und riskiert, langfristig integrierbare Menschen wieder aus dem System zu drängen – oder es erkennt, dass die Integration der Ukrainerinnen und Ukrainer nicht nur humanitär, sondern auch wirtschaftlich sinnvoll ist. Wer heute investiert, spart morgen. Wer jetzt auf Abschottung setzt, verschenkt das Potenzial Hunderttausender motivierter Arbeitskräfte – und riskiert einen integrationspolitischen Rückschritt.


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