Studie zu Diskriminierung: Visumchancen in Deutschland hängen vom Land ab
- Isabelle Manoli

- vor 11 Stunden
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Aus anwaltlicher Perspektive wirkt die deutsche Fachkräfteeinwanderung heute moderner und flexibler denn je. Die Gesetzeslage lässt viel zu, die politischen Ziele sind ambitioniert, und das Fachkräfteeinwanderungsgesetz ist an vielen Stellen klarer und praxistauglicher geworden. Doch wer sich mit den tatsächlichen Verfahren beschäftigt, sieht schnell: Von einer echten Öffnung für die weltweite Fachkräftegewinnung kann nicht die Rede sein. Die Einwanderung gelingt zuverlässig nur für Bewerberinnen und Bewerber aus wirtschaftlich starken, westlichen Ländern wie den USA, Großbritannien oder Australien. Für alle anderen bleibt der Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt nicht nur schwierig – sondern oft nahezu unerreichbar.
Zeit als “unsichtbare Mauer” von Visaanträgen
Eine jüngste Studie des Migration Policy Centre macht sichtbar, was wir in der Beratung tagtäglich erleben: Die Wartezeiten auf einen Visumtermin hängen massiv vom Wohlstand des Herkunftslandes ab. Je ärmer ein Land, desto länger müssen seine Bürgerinnen und Bürger warten – oft monatelang, häufig ohne überhaupt eine Chance auf einen Termin. In manchen Ländern des Globalen Südens sind Wartezeiten von über drei Monaten die Regel, und fast die Hälfte aller Anfragen endet schlicht ergebnislos. In der anwaltlichen Praxis erreichen uns sogar Anfragen von Menschen, die teilweise seit mehreren Jahren auf einen Termin warten. Währenddessen sind Termine in westlichen Industrienationen innerhalb weniger Tage verfügbar. Das ist kein Zufall, sondern ein globales Muster, das längst strukturelle Auswirkungen auf die Einwanderungspraxis hat.
Wartezeiten als migrationspolitisches Steuerungsinstrument
Deutschland betont regelmäßig, dass es dringend Fachkräfte benötigt und sich im globalen Wettbewerb um Talente behaupten müsse. Doch in der Realität nutzt das System die vorhandenen Ressourcen vor allem dort, wo der Verwaltungsaufwand politischen Vorstellung entspricht. Wer aus den USA oder Australien kommt, hat eine weit höhere Chance, ein Visumverfahren innerhalb realistischer Zeiträume zu durchlaufen.
In der anwaltlichen Praxis sehen wir das besonders deutlich bei tech-, IT- und akademischen Berufen: Unternehmen rekrutieren überwiegend in Ländern, deren Staatsangehörige ohne großen Aufwand einreisen können (sog. Best-Friends-Staaten) oder wo Termine praktisch sofort verfügbar sind. Die eigentlichen Zielregionen, aus denen Deutschland angesichts des demografischen Wandels Fachkräfte bräuchte – Afrika, Süd- und Südostasien, Teile Lateinamerikas –, bleiben dagegen systematisch außen vor.
Ein strukturelles Problem, das nicht benannt wird
Der Gesetzgeber spricht viel über Digitalisierung, Beschleunigung und Modernisierung – doch kaum über die ungleichen Ausgangsbedingungen im Terminvergabesystem. Für Bewerber aus Ländern mit langen Wartezeiten bedeutet das Stillstand: Arbeitsverträge verfallen, Universitätssemester verstreichen, Lebensplanungen scheitern. Doch auch Arbeitgeber stehen zunehmend vor einem frustrierenden Problem: Die gesetzlich vorgesehenen Möglichkeiten helfen ihnen wenig, wenn ausgerechnet jene Zielgruppen, aus denen sie rekrutieren möchten, monatelang keinen Termin bekommen. Während die Politik also davon spricht, Talente aus aller Welt zu gewinnen, zeigt die Praxis ein anderes Bild: Deutschland zieht vor allem diejenigen an, die ohnehin privilegierte Mobilität genießen.
Fazit: Fachkräfteeinwanderung bleibt ein Privileg
Die Studie zeigt deutlich, dass Deutschland im internationalen Vergleich zurückliegt. Während Länder wie die USA transparent veröffentlichen, wie lange Termin- und Verfahrensdauern an jedem einzelnen Standort dauern, bleibt das deutsche System weitgehend intransparent. Aus anwaltlicher Sicht zeigt sich klar: Die Fachkräfteeinwanderung ist in Deutschland keine offene Tür, sondern ein selektiver Filter. Sie funktioniert gut für Bewerber aus reichen Ländern – und schlecht für genau jene Regionen, aus denen Deutschland angesichts seines Arbeitskräftemangels eigentlich rekrutieren müsste. Wer echte globale Talente gewinnen will, muss die strukturellen Ungleichheiten an der Grenze abbauen – und beginnen, Einwanderung nicht nur gesetzlich, sondern auch praktisch möglich zu machen.



